Paul Hindemith(1895–1963)

1895-11-1616.11.1895 in Hanau, Deutschland
1963-12-2828.12.1963 in Frankfurt am Main, Deutschland
Paul Hindemith
maleKomponistDE

Konrad Ewald

Paul Hindemith ist der grosse Praktiker des 20. Jahrhunderts. Von Haus aus ist er Geiger und Bratscher, er war Orchestermusiker, Quartettbratschist, Solist, Dirigent, Musiklehrer, Schriftsteller. Er kennt sozusagen alle Instrumente, und er kennt auch die ältere Musik, was man nicht von jedem neueren Komponisten behaupten könnte.
Die erste Sonate für Bratsche allein ist vielleicht das ruppigste der Werke, die wir hier besprechen. Für Dilettanten ist sie ziemlich aussichtslos. Am ehesten kann der 2. Satz gemeistert werden. Die 2. Sonate für Viola ist im gesamten leichter. Den 1. Satz (Breit) sollte jeder Bratscher erarbeiten können, den zweiten vielleicht weniger. Der 3. Satz (Sehr langsam) ist ein wunderbares Stück. Hier kann man den Ton des Instruments schön zur Geltung bringen (so man kann). Berühmt-berüchtigt ist der 4. Satz mit der Spielanweisung «Rasendes Zeitmass (ein Viertel = 600-640). Wild. Tonschönheit ist Nebensache». Man soll sich ruhig einmal in diese «Geschwindigkeits-Orgie» hineinstürzen. Der abschliessende 5. Satz (Langsam, mit viel Ausdruck) gleicht dem dritten und steht dem 2. Satz aus Genzmers Solosonate würdig zur Seite. Wenn Sie Hindemiths Violawerke noch nicht kennen oder wenn Ihnen Paul Hindemith bis dahin noch nichts gesagt hat, dann versuchen Sie's doch mit diesem Satz. Eine dritte Solosonate (op. 31,4) ist zwar auch schon 1923 entstanden, aber erst 1992 publiziert worden. Hindemith sagt von ihr, sie sei «nicht so gut wie die andere (op. 25,1) und viel zu schwer, man kann sie nur gut spielen, wenn man abnorm viel Lust hat und das kann man auf dem Podium nicht immer haben. Ich werde sie nicht mehr spielen sondern mir bei Gelegenheit mal eine neue anfertigen» (zitiert im Vorwort). Diese «neue» ist dann erst 1937 «angefertigt» worden, dreisätzig wie die dritte, wobei der langsame 2. Satz von einem lebhaften Pizzicato-Teil unterbrochen wird. Aus dem Jahr 1934 stammt das Duett mit Cello, das von geschickten Quartettlern ohne weiteres gespielt werden kann. Die letzten fünf Takte muss der Bratschist sicher im Tenorschlüssel spielen.
Eine ganz andere Welt tut sich uns auf in der ersten Sonate mit Klavier. Der 1. Satz (Fantasie) beginnt in F-dur. Alle Zweiunddreissigstel-Partien sehen nur von weitem giftig aus; imgrunde sind sie äusserst bratschistisch. Der 2. Satz (Thema mit Variationen), der unmittelbar anschliesst, bringt ein Thema «Ruhig und einfach wie ein Volkslied» in es-moll. Die Variationen sind amüsant zu spielen. Das wiederum attacca folgende Finale bringt weitere Variationen zum Thema des 2. Satzes. Nummer 6 (mit bizarrer Plumpheit vorzutragen) ist eine Köstlichkeit ersten Ranges. In Variation 7, der Coda (Sehr lebhaft und erregt), erleben wir eine unerhörte Steigerung; nacheinander treten die folgenden Spielanweisungen auf: «Stets zunehmen und vorangehen», «Wild», «Noch immer treiben», «Mit aller Kraft». Diese Sonate kann von tüchtigen Dilettanten bewältigt werden, was man von der 2. Sonate nicht behaupten könnte. Sie ist recht schwer, bewegt sich viel in hohen Lagen. Aber wer sich ernsthaft mit diesem Werk auseinandersetzt, der wird auch hier Freude erleben. Eine 3. Sonate (chronologisch die zweite) ist erst 1977 ediert worden. Sie ist in jeder Hinsicht bescheidener; aber auch hier muss man sich in den hohen Lagen auskennen. Für Bratsche und Klavier existiert noch eine Meditation (aus «Nobilissima Visione»), ein schöner Gesang. Vor Ziffer 3 soll man ruhig die leichtere Fassung spielen.
Was jeder Bratschist besitzen muss, ist die Trauermusik für Viola und Streicher. Wir erfahren dazu: «Dieses Stück wurde am 21. Januar 1936 in London am Tage nach dem Tode König Georgs V. von England geschrieben und vom Englischen Rundfunk (BBC) am 22. Januar in einem Gedächtniskonzert zum ersten Mal aufgeführt, wobei der Komponist den Solopart spielte.» - Ausser den besprochenen Werken gibt es von Paul Hindemith noch drei Konzerte. Diese drei Kompositionen sind natürlich sehr schwer. Aber wer Zeit und Geduld hat, wird aus allen dreien einzelne Passagen sich aneignen können (z. B. den 2. Satz aus dem Schwanendreher oder den 5. Satz aus der Konzertmusik). Erstaunlich ist, dass Hindemith im Orchester keine Geigen und keine Bratschen verwendet, offenbar, um die Soloviola besser hervortreten zu lassen; das Soloinstrument wird aber leider häufig von den Blechbläsern fast erdrückt.
Gut zu wissen: Die Konzertmusik (op.48) bestand ursprünglich (1930) aus 6 Sätzen in 2 Teilen. Was dann bekannt und auch gedruckt wurde, war eine überarbeitete Fassung: Die Sätze 4 und 6 fielen weg, Nr.5 wurde zum 4.Satz, und ein neuer Schlusssatz (Nr.5) kam hinzu. Die frühe Fassung (kürzlich auch von Tabea Zimmermann eingespielt) ist erst 1997 im Druck erschienen.

Werke

Spielmusik, op. 43/1, für Streichorchester (Viola auch Solo), Flöten und Oboen 1. Sonate, op. 11, Nr. 5, für Bratsche 2. Sonate, op. 25, Nr. 1, für Bratsche 3. Sonate, op. 31, Nr. 4, für Bratsche 4. Sonate für Bratsche Duett für Bratsche und Violoncello Sonate, op. 11, Nr. 4, für Bratsche und Klavier Sonate, op. 25, Nr. 4, für Bratsche und Klavier Sonate für Bratsche und Klavier Meditation, für Bratsche und Klavier Trio, op. 34, für Violine, Bratsche und Violoncello 2. Trio für Violine, Bratsche und Violoncello Trio, op. 47, für Heckelphon, Bratsche und Klavier Trauermusik für Bratsche und Streicher (Klavier) Kammermusik Nr. 5 (Bratschenkonzert), op. 36, Nr. 4, für Bratsche und Orchester Konzertmusik, op. 48, für Solobratsche und grösseres Kammerorchester Der Schwanendreher. Konzert nach alten Volksliedern für Bratsche und kleines Orchester
Paul Hindemith with viola II, 1950 's, Oil on CanvasPaul Hindemith with viola II, 1950 's, Oil on Canvas
Photo: Rudolf Wilhelm Heinisch

Komponist

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